DiÖ – Cluster B – Beitrag – Blog
15. Februar 2020

Der Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA). Ein DiÖ-Satellitenprojekt stellt sich vor

Was ist der Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA)?

Der AdA ist ein Langzeitprojekt, in dem wir seit 2003 per Online-Umfragen die regionale Vielfalt der Alltagssprache im Deutschen erforschen. In bisher zwölf Erhebungsrunden haben wir im gesamten deutschsprachigen Raum anfangs für 400 Orte zufällig ausgewählte Personen gebeten, über die Alltagssprache in ihrer Stadt Auskunft zu geben. Die meisten Fragen betreffen den Wortschatz, einige weitere aber auch die Grammatik („Sagt man bei Ihnen etw. geht zu reparieren?“) oder die Aussprache („Lautet das Wort König bei Ihnen wie ,Könich‘ oder wie ,Könik‘?“). Die allermeisten Informantinnen und Informanten gehören der jüngeren oder mittleren Generation an. Die Ergebnisse werden nach Abschluss der Erhebung pro Ort zusammengefasst und in Form farbiger Punkte auf einer Sprachkarte dargestellt.

Ein populärer Atlas

„Mit Interesse und Freude habe ich auf Ihrer Seite ,Atlas zur deutschen Alltagssprache‘ gestöbert“, „seit mehreren Jahren erfreue ich mich an den Karten zur Alltagssprache“ oder einfach nur „großartig“ sind nur einige der Rückmeldungen, die wir in den letzten Jahren zum AdA erhalten haben. Immer wieder machen Teilnehmerinnen und Teilnehmer neue Vorschläge für Begriffe, die abgefragt werden könnten. Verschiedene regionale Medien haben AdA-Karten aufgegriffen – natürlich besonders dann, wenn es um Varianten ihrer Region ging. Aber auch überregional ist der AdA bekannt geworden, vor allem durch ca. 20 „Deutschland-Karten“ des ZEIT-Magazins. Über die Jahre hat sich der AdA ,viral‘ verbreitet, und in der Folge erhöhte sich auch die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Etwa 20.000 Menschen aus allen deutschsprachigen Ländern und Regionen – ganz überwiegend sprachinteressierte Laien – machen inzwischen mit.

Ein nicht nur populärer Atlas

Der AdA ist ein Atlas von Laien für Laien, allerdings nicht nur für Laien. Von Anfang an stand ein wissenschaftliches Interesse im Vordergrund. Karten des AdA sind in verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen und in unzähligen Vorträgen aufgegriffen und analysiert worden. Der AdA ist damit zu einem wichtigen Forschungsinstrument der germanistischen Variationslinguistik in den letzten zwei Jahrzehnten geworden. Auch für den Unterricht ist er interessant geworden: Karten des AdA sind in verschiedene Lehrwerke für den muttersprachlichen Deutschunterricht und den DaF-Unterricht eingegangen, u. a. (seit 2016) in die monatlich erscheinenden Hefte der Zeitschrift Deutsch Perfekt.

Worum geht’s im AdA?

Die regionale Vielfalt des Deutschen zeigt sich besonders in der Alltagssprache. Mit ,Alltagssprache‘ ist die Sprache gemeint, die Menschen, die an einem Ort aufgewachsen sind, untereinander in der Alltagskommunikation verwenden, also im Gespräch unter Freunden oder Verwandten oder unter nicht näher Bekannten auf der Straße, in örtlichen Geschäften usw. Noch vor 100 Jahren hätte fast überall im deutschsprachigen Raum als ortsübliche ,Alltagsprache‘ der Ortsdialekt gegolten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hängt die Begriffsbestimmung sehr vom Land bzw. der Region ab. So ist ,Alltagssprache‘ in der Schweiz immer noch die Ortsmundart; dagegen zählt etwa in großen Teilen Norddeutschlands nicht mehr das traditionelle ,Platt‘, sondern eine standardnahe Varietät als ortstypische ,Alltagssprache‘.

 Und was ist jetzt die Alltagssprache in Österreich?

Die Frage ist für Österreich mit einem eindeutigen „Es kommt drauf an“ zu beantworten: … auf das Gebiet sowie darauf, ob der Ort eher urban oder eher ländlich geprägt ist. In Vorarlberg ist die Alltagssprache gewiss deutlicher vom Dialekt geprägt als in Wien, und im Pinzgau sicher auch deutlicher als in der Stadt Salzburg. Gegenstand des AdA sind jedenfalls die Varianten, die sich in der Alltagssprache zeigen. So ist die Partikel mei – in einem Ausruf wie Mei, ist des schee! oder Ja mei, da kann man nix machen – ein Ausdruck, die Österreicherinnen und Österreicher und die meisten Bayerinnen und Bayern alltagssprachlich eindeutig von den nördlichen und westlichen Nachbarn unterscheidet.

   

Nun hängt wiederum einiges davon ab, ob man etwa unterschiedliche Wörter oder unterschiedliche Ausspracheweisen betrachtet. Das Wort (Apfel-) Butzen ist beispielsweise über fast den ganzen Süden des deutschen Sprachraums verbreitet. Allerdings gibt es viele Aussprachevarianten: Allein in Österreich sind Butzga, Butz, Burzen und Bitz belegt.  

Unterschiede in Österreich

 Die innerösterreichischen Unterschiede beschränken sich freilich nicht auf die Aussprache. Was die Karten des AdA sehr schön vor Augen führen, sind West-Ost-Gegensätze im Wortschatz. Ein gutes Beispiel ist die Karte zur Verwendung der Modalpartikel leicht in einem Satz wie „Hast Du Dir leicht wehgetan?“, die in Vorarlberg, Tirol und Kärnten kaum üblich ist, im Rest des Landes aber sehr wohl.

Ein ähnliches Bild ergibt die Verteilung von Eiweiß und Eiklar. Gleich drei verschiedene Wörter gibt es für die Beerenfrucht, die die botanische Bezeichnung vaccinium myrtillus trägt. Sie reichen von Heidelbeere in Vorarlberg, in Ober- und Niederösterreich und im Burgenland über Moosbeere in Tirol bis zu Schwarzbeere in Kärnten und in der Steiermark – in den verschiedenen Teilen Salzburg findet man alle drei Varianten. Die letztgenannten Beispiele sind übrigens alle auch ,hochdeutsch‘ – und zeigen somit die Variation in der Standardsprache im Deutschen in Österreich.

   

Literatur

AdA = Elspaß, Stephan & Robert Möller. 2003ff. Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA). Open-Access-Publikation: www.atlas-alltagssprache.de.

Möller, Robert & Stephan Elspaß. 2015. Atlas zur deutschen Alltagssprache. In: Kehrein, Ro­land, Alfred Lameli & Stefan Rabanus (Hgg.): Regionale Variation des Deutschen – Projekte und Perspektiven. Berlin, Boston: de Gruyter, 519–540.

Möller, Robert & Stephan Elspaß. 2019.  Die rezente Dynamik im arealsprach­lichen Lexikon. In: Herrgen, Joachim & Jürgen Erich Schmidt (Hgg.): Sprache und Raum. Ein internationales Handbuch der Sprachvariation. Bd. 4: Deutsch. Unter Mitarbeit von Hanna Fischer und Brigitte Ganswindt. Berlin, Boston: De Gruyter Mouton (HSK 30.4), 756–781.

 

Stephan Elspaß ist Sprachwissenschaftler und forscht als Universitätsprofessor für Germanistische Linguistik an der Universität Salzburg. Er ist Co-Sprecher des Spezialforschungsbereichs Deutsch in Österreich (DiÖ) und betreut seit 2003 mit Prof. Robert Möller von der Université de Liège den „Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA)“.



Zitation
Elspaß, Stephan (2021): Der Atlas zur deutschen Alltagssprache (AdA). Ein DiÖ-Satellitenprojekt stellt sich vor.
In: DiÖ-Online.
URL: https://www.dioe.at/artikel/2280
[Zugriff: 04.12.2024]