FAQ – Häufige Fragen zu DiÖ
Worum geht es in dem Projekt „Deutsch in Österreich”?
Schon im Namen des SFB (Deutsch in Österreich, abgekürzt „DiÖ”) spiegelt sich der zentrale Gegenstand des Forschungsprojekts wider: Die deutsche Sprache in ihrer ganzen Vielfalt, wie sie in Österreich gegenwärtig gesprochen und geschrieben wird bzw. auch wurde. Dabei werfen wir einen Blick sowohl auf die ländlichen Regionen Österreichs von Vorarlberg bis ins Burgenland als auch auf städtische Ballungsräume wie Wien und Graz und stellen uns Fragen wie die folgenden: Wer spricht wo wann wie mit wem und wozu welche Formen von Deutsch? Welche Formen von Dialekt finden wir in welchen Regionen, und wie haben sich die Dialekte Österreichs in den letzten 100 Jahren verändert? Wie kommunizieren Menschen in Österreich in ursprünglich dem Dialekt vorbehaltenen Situationen, wenn sie keinen Dialekt mehr sprechen? Wie sehen regionale „Umgangssprachen” in Österreich aus, die häufig an die Stelle alter Dialekte treten? Was sind Formen der „Hochsprache” in Österreich, die sie von anderen Hochsprachen in Deutschland und der Schweiz abhebt?
Nicht wenige Besonderheiten der deutschen Sprache in Österreich sind im Kontext von langjährigem Sprachkontakt zu sehen. Hier haben wir einen besonderen Schwerpunkt auf den Kontakt des Deutschen in Österreich zu slawischen Sprachen gelegt, dem wir in gleich zwei Teilprojekten nachgehen.
Schließlich untersuchen wir aber nicht nur die sprachlichen Formen, wie sie real gesprochen und gehört werden und wurden, sondern wir fragen auch danach, wie in Österreich über diese vielfältigen Formen des Deutschen gedacht wird, welche Meinungen und Wertigkeiten in der Bevölkerung existieren.
Unsere Ergebnisse wollen wir natürlich mit so vielen Interessierten wie möglich teilen: Dies geschieht über klassische wissenschaftliche Präsentationsformen wie etwa Publikationen (Bücher, Aufsätze) und Vorträge, über vielfältige Informationsveranstaltungen, regen Austausch mit Gruppen z. B. aus dem Bildungsbereich, Interviews und alternative Medienformate sowie andere Mittel wie unsere Homepage. Große Teile der im Rahmen des SFB gesammelten Daten werden auf einer Informations- und Forschungsplattform zum „Deutschen in Österreich” nachhaltig zur Verfügung gestellt.
„Deutsch in Österreich” ist „österreichisches Deutsch”, oder?
In der Forschungsliteratur zu Sprache in Österreich wird die Bezeichnung „österreichisches Deutsch“ in der Regel dazu benutzt, um auf die (meist schriftliche) „Hochsprache” des Deutschen in Österreich zu verweisen, also auf Formen des Hochdeutschen in Österreich, wie sie uns etwa in österreichischen Qualitätszeitungen oder im österreichischen Rundfunk und Fernsehen begegnen. Die Tatsache, dass unser SFB aber an allen Formen des Deutschen in Österreich interessiert ist (also nicht nur an Hochsprache, sondern auch an etwa Jugendsprachen, Dialekten, Fachsprachen und an vielen andere Formen gesprochenen und geschriebenen Deutsch), hat es motiviert, unserem SFB den Namen „Deutsch in Österreich” zu geben (wobei „österreichisches Deutsch” im Sinne der österreichischen Hochsprache darin auch einen wesentlichen Teil darstellt).
Wer gehört alles zur DiÖ-Forschergruppe?
Die DiÖ-Forschergruppe ist sehr vielfältig zusammengesetzt: Sie besteht aus etablierten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern sowie jungen Nachwuchswissenschafterinnen und Nachwuchswissenschaftern, die sich auf insgesamt vier Institutionen Österreichs verteilen: Universität Wien, Universität Graz, Universität Salzburg sowie die Österreichische Akademie der Wissenschaften.
Auch die Fachgebiete der Forschenden sind vielfältig: Neben Forschenden der Germanistik gehören auch Forschende aus dem Bereich der Slawistik, Anglistik, Translationswissenschaft, Computerlinguistik sowie Informatik zu unserem Team.
Als besonders wertvoll erachten wir es auch, dass die Kolleginnen und Kollegen aus unserem Team selbst unterschiedliche sprachliche Hintergründe (Sprachbiographien) und Sprachkompetenzen aufweisen. Neben Personen aus Österreich gehören auch Personen aus Deutschland, den USA, der Schweiz, aus Italien, der Slowakei und Weißrussland zur SFB-Gruppe, sodass sich sprachliche Innen- und Außenperspektiven optimal ergänzen.
Was heißt plurizentrische Sprache?
Als plurizentrische Sprache wird in der Sprachwissenschaft eine Sprache bezeichnet, die in mehreren Standardvarietäten existiert, welche ihrerseits eigenständige sprachliche Besonderheiten aufweisen und eigenen Normierungen unterliegen. Sind diese Normierungen in Nachschlagewerken festgehalten und staatlich autorisiert, spricht man von einem nationalen Vollzentrum einer plurizentrischen Sprache. Insofern fällt das Konzept einer plurizentrischen Sprache mit dem einer plurinationalen Sprache zusammen.
In der sprachwissenschaftlichen Forschung ist allerdings durchaus umstritten, inwieweit das Deutsche als plurizentrische/plurinationale oder aber vielmehr als pluriareale Sprache einzuordnen ist. Während nämlich der Begriff der Plurizentrik mit Blick auf die deutsche Sprache standardsprachliche Besonderheiten auf nationaler Ebene hervorhebt, trägt der Begriff der Pluriarealität der Tatsache Rechnung, dass die areale Gliederung und Variation des Deutschen zumeist nicht mit nationalen Grenzen in Zusammenhang zu bringen, d.h. durch diese zu begründen ist.
Was ist eine Sprachvarietät?
Der Begriff Varietät umreißt eines der Leitkonzepte zur Beschreibung sprachlicher Variation. Er skizziert die in der Sprachwissenschaft prominente theoretische Annahme, dass sich innerhalb einer Sprache verschiedene Großbereiche aufgrund spezifischer sprachlicher und außersprachlicher Merkmale in ihrer Bündelung eindeutig unterscheiden lassen.
Auf der Suche nach sprachlichen Varietäten wird somit eine Gesamtsprache – etwa Deutsch – mittels der sprachlichen Verwendungsformen, hinsichtlich ihrer „prototypischen” Merkmale, ihrer Funktion (z. B. Pressesprache) oder auch Sprechergruppen (z. B. Jugendsprache) in verschiedene Großbereiche unterteilt, denen jeweils auch unterschiedliche Funktionen zugeschrieben werden (z. B. Standardsprache und Dialekt).
In jüngerer Zeit mehren sich allerdings die Stimmen, dass die traditionellen Analysemethoden zur Bestimmung von Varietäten ergänzungsbedürftig seien, um der Komplexität und Kontextgebundenheit sprachlicher Variation in der kommunikativen Alltagspraxis im Sinne einer Beschreibung von Sprachwirklichkeit umfassend gerecht zu werden. Auch wird die Frage diskutiert, ob sich tatsächlich klar zu unterscheidende Großbereiche in der sprachlichen Realität und insbesondere im Zusammenhang mit einer Beschreibung gesprochener Sprache – etwa im städtischen Raum – unterscheiden lassen, oder ob nicht vielmehr von einem sprachlichen Kontinuum ausgegangen werden muss, wo sich keine klar definierten sprachlichen Grenzen zwischen Großbereichen beobachten lassen. Varietätenlinguistische Untersuchungen aus unseren eigenen Reihen zeigen aber auch, dass zwischen einem Kontinuumsmodell einerseits und „Verdichtungsbereichen” innerhalb des Kontinuums kein Widerspruch bestehen muss.
In unserem SFB werden u.a. diese Fragen und Diskussionen aufgegriffen und im Hinblick auf die Situation der deutschen Sprache in Österreich überprüft.
Wie viele Dialekte gibt es in Österreich?
Sprachwissenschaftlich gesehen hat Österreich Anteil an zwei großen Dialektgebieten des gesamtdeutschen Sprachraums: erstens dem bairischen (geschrieben mit ai, benannt nach dem historischen germanischen „Stamm” der Baiern) und zweitens dem alemannischen Dialektraum (benannt nach dem „Stamm” der Alemannen). Ganz Vorarlberg gehört zum alemannischen Dialektgebiet, im restlichen Österreich werden bairische Dialekte gesprochen. Der bairische Dialektraum Österreichs lässt sich weiter untergliedern: Erstens gibt es ein „mittelbairisches” Areal (= Teile des Bundeslandes Salzburg, fast ganz Ober- und Niederösterreich sowie Wien); zweitens ein „südbairisches” Areal (= Tirol, Kärnten sowie Teile der Steiermark); drittens ein dazwischen liegendes „Übergangsgebiet” (= Teile des Bundeslandes Salzburg sowie der Großteil der Steiermark und des Burgenlandes).
Wie viele weitere, kleinräumige Dialekte es nun innerhalb des alemannischen Gebietes in Vorarlberg und der drei bairischen Räume im restlichen Österreich gibt, lässt sich sprachwissenschaftlich bzw. objektiv nicht sagen. Es gibt keine allgemein gültigen Kriterien dafür, welche oder wie viele sprachliche Merkmale in welchen Bereichen (Aussprache, Wortschatz, Grammatik, …) einen „eigenständigen” Dialekt ausmachen bzw. von anderen Dialekten oder der Umgangssprache abgrenzen. Dazu kommt, dass sich Sprache – so auch die Dialekte – ununterbrochen verändern. Wo vor zwei, drei Generationen noch deutliche Unterschiede, vielleicht von Ort zu Ort, bemerkbar waren, kann heute ein gemeinsamer Dialekt oder eine überregionale Sprachform (ein „Regiolekt”) verwendet werden.
Die sprachwissenschaftlichen Dialekträume und Bezeichnungen für Dialekte stimmen nur selten mit jenen außerhalb der Sprachwissenschaft überein. „Laienhaft“ gesehen stellen in Österreich die Bundesländer das wichtigste Kriterium im Zusammenhang mit den Dialekten dar. Die Sprechenden nennen ihre Dialekte „Tirolerisch”, „Steirisch”, „Salzburgerisch” usw., eventuell mit weiteren Unterteilungen wie „Mühlviertlerisch”, „Lavanttalerisch” oder „Seewinklerisch”. Auch Dialektnamen, die auf politische Bezirke, Städte oder Dörfer verweisen, sind im Gebrauch. Diese „laienhaften” Ansichten bezüglich der Dialekte sind aber keinesfalls „falsch”, sondern eine gesellschaftliche Realität. Sie werden im Rahmen der Sprachwahrnehmungs- und Spracheinstellungsforschung wissenschaftlich untersucht.
(Warum) „sterben” Dialekte?
Die Befürchtung, dass Dialekte „sterben”, beruht auf einem Missverständnis: Man nimmt die „Beweglichkeit”, die Veränderung (wissenschaftlich ausgedrückt: die Dynamik) von Dialekten wahr und verbindet diese Beobachtung mit der – falschen – Vorstellung von einem „echten” Dialekt vor der Veränderung. Diesen Dialekt von früher (aus der Kindheit, der Lebenswelt der Großeltern, der „guten alten Zeit” usw.) stellt man sich als etwas seit jeher unverändert Existierendes, Stabiles (Statisches) vor. Vor dem Hintergrund dieses Wunschbildes wird die in der Realität wahrgenommene Dynamik des Dialekts zum „Verfall”, „Schwund”, „Tod”.
Tatsache ist: Sprache in all ihren Erscheinungsformen, inklusive der Dialekte, kann nur „leben”, weil sie – so wie die Gesellschaft – dynamisch ist und sich ständig wandelt. Auch der „echte” Dialekt früherer Generationen ist nicht als solcher „fertig” vom Himmel gefallen. Er ist vielmehr eine Momentaufnahme im Prozess fortwährender sprachlicher Veränderung.
Welchen Einfluss hat das „schlechte Deutsch” von Migrantinnen und Migranten auf das Deutsche (in Österreich)?
Ein eigentliches und einheitliches Deutsch von Zugewanderten und Personen mit Migrationshintergrund gibt es nicht, denn die Zugewanderten unterscheiden sich u. a. durch ihr Bildungsniveau, die Dauer ihres Aufenthalts in Österreich und die Sprachen, die in ihren Herkunftsfamilien gesprochen werden. Auf individueller Ebene kommt es dabei beim Spracherwerb des Deutschen in erster Generation zu den erwartbaren Interferenzen mit der Erstsprache, wenn aber Personen von klein auf mit zwei oder mehr Sprachen aufwachsen und zu diesen Sprachen ausreichend guten Zugang bekommen, dann werden sie mit diesen auch problemlos zurechtkommen. Bekanntheit erlangten in den vergangenen Jahren darüber hinaus sprachliche Erscheinungen, die z. B. für den Sprachgebrauch bestimmter Gruppen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus multikulturellen Stadtvierteln typisch sind. So zeichnen sich Sprechende mancher Szenen durch die Kreation eigener Wörter und die Verwendung eines Sprachstils aus, der sich großteils aus der städtischen Umgangssprache und Teilen von Migrantensprachen speist. Solche Erscheinungen müssen nun nicht zwangsläufig mit einem ungenügenden Ausdrucksvermögen in Verbindung stehen, sondern können – so wie das Wechseln zwischen einzelnen Sprachen innerhalb einer Äußerung – auch Ausdruck sprachlicher Kreativität und eines Wir-Gefühls sein. Da solche Erscheinungen aber außerhalb einer Szene normalerweise kein Prestige besitzen, werden sie i. d. R. mit zunehmendem Alter wieder aufgeben und bleiben sohin folgenlos.
(Warum) verwenden Kinder / junge Leute in Österreich immer mehr „deutsches” Deutsch?
Die Klage, dass Kinder und junge Leute in Österreich immer mehr ein Deutsch sprechen, das für österreichische Ohren „deutsch” oder sogar „norddeutsch” klingt, ist verbreitet. Leider gibt es noch keine verlässlichen Untersuchungsergebnisse darüber, so dass man weder über eine Ausbreitung eines – wie auch immer definierten – „deutschen” Deutsch noch über mögliche Gründe Sicheres sagen, sondern vorläufig nur Eindrücke wiedergeben und Hypothesen formulieren kann. Ein Eindruck ist, dass Kinder und junge Leute nicht überall in Österreich im gleichen Ausmaß eine eher „(nord-)deutsche” Aussprache annehmen, sondern dass dies in Städten etwas ausgeprägter erscheint als am Land. Eine Hypothese für die Ursache dieses Phänomens ist, dass Kinder immer mehr mit einem „Mediendeutsch” aufwüchsen, das eben durch eine „norddeutsche” Lautung geprägt sei. Das fange damit an, dass kleinen Kindern immer weniger von ihren österreichischen Eltern und Großeltern vorgelesen werde und sie stattdessen Geschichten auf CDs hörten, die von Erwachsenen und Kindern mit norddeutscher Aussprache besprochen bzw. synchronisiert sind. Und das setze sich fort über vor allem aus Deutschland stammende Fernsehsendungen und Filme (bzw. in Deutschland synchronisierte Filme), in denen regionale Aussprachefärbungen – also auch österreichische – vermieden würden. Von der Rezeption solcher Sprechweisen zu ihrer aktiven Verwendung ist es aber noch ein längerer Prozess, und ob bzw. wie dieser tatsächlich stattfindet, wäre noch Gegenstand eines größeren Forschungsprojekts.