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Sprache in Zeiten der Corona-Krise
Sprache ist zwar leider keine Medizin gegen Covid-19, aber sie wirkt dennoch in unser aller Leben: Sprache wirkt, weil wir durch Sprache wirken – weil Gesellschaft und Sprache in Wechselwirkung stehen. Sprache ist ein Wirk-Zeug.
Was sich hier wie ein Wortspiel anlässt, ist, salopp formuliert, der Grundsatz der gesamten angewandten Sprachwissenschaft. Sprache und Gesellschaft bedingen einander, gestalten einander, geben einander Sinn – und die angewandte Sprachwissenschaft erforscht eben diese Beziehung. Aber wie wirkt denn nun Sprache? Und was kann das Nachdenken darüber in der jetzigen Situation bringen?
Nun, das Reisen ist ja derzeit in personam nicht möglich – aber das Reisen im Kopf ist weiterhin frei, und auch nützlich, um in der Krisensituation diesen selben Kopf zu bewahren. Und die Geisteswissenschaften sind Meisterinnen der Kopf-Reise! Machen wir also eine kleine Exkursion zu ein paar sprachlichen Kuriositäten dieser neuen Welt, mit der angewandten Sprachwissenschaft als Reiseleitung: So wirkt Sprache – auch in Zeiten von Corona.
Sprache bewirkt Hamsterkauf
Meine Eltern erzählen gerne folgende Anekdote aus den 1970ern: Es ist Ölkrise, das Ende des Wirtschaftswunders dräut – auch in Österreich. Die Menschen sind im Hinblick auf die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln verunsichert. Der Handelsminister nimmt Stellung im Radio: „Keine Sorge, liebe Österreicherinnen und Österreicher: Es gibt keine Zuckerknappheit“. Am nächsten Tag gibt es dann prompt eine Zuckerknappheit in Österreich – aufgrund von Hamsterkäufen nach dieser Radiodurchsage.
Diese Anekdote illustriert sehr schön einen der Grundsätze der Kommunikation: das ‚Cooperative Principle‘. Wir gehen immer davon aus, dass etwas, das jemand gesagt hat, für die gegebene Situation irgendwie relevant ist. Das ist keine bewusste Entscheidung, sondern ein Automatismus. Stundenlang grübeln wir, wenn sich die Relevanz nicht gleich erschließt; verzweifelt versuchen wir, Sinn aus vermeintlichem Unsinn zu ziehen. Warum hat die Kollegin auf meine Bemerkung, „Na, der Unterricht war ja heute wieder besonders fad!,“ gesagt, „Ich habe eine neue Tapete, die ist grün und gefällt mir sehr gut!“? – Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun – oder? Oje, da ist wohl die Lehrende direkt hinter mir gestanden – dann ergibt diese Aussage einen Sinn! (Es war eine Warnung, das Thema zu wechseln – also höchst situationsrelevant.) Automatisch suchen wir ein Szenario, in dem sich alles sinnvoll fügt.
Warum würde nun der Handelsminister sagen, dass es keine Zuckerknappheit gibt? Er ist Regierungsmitglied und weiß sicher bestens Bescheid; er will uns beruhigen, damit wir nicht in Panik verfallen – also muss es tatsächlich einen Grund zur Panik geben! Schnell, Zucker kaufen!
Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, wie offizielle Stellen mit der Öffentlichkeit kommunizieren. Gerade in Krisenzeiten wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt, werden Schlüsse gezogen, im Geiste Szenarien konstruiert, in denen das Gesagte einen tieferen Sinn ergeben könnte. Je weniger der Fantasie überlassen wird, umso mehr wird die Reaktion dem Wunsch entsprechen. Darum ist es auch besser, mit Kindern klar und direkt über die gegenwärtige Situation zu sprechen, als sie ihren eigenen Interpretationen der neuen ‚Seltsamkeiten‘ im Alltag zu überlassen. Je weniger Interpretationsspielraum, umso weniger wilde Fantasien! Das hilft uns wiederum, kühlen Kopf zu bewahren.
A virus by any other name... (frei nach Shakespeare)
Erste Berichte über den neuartigen Virus erreichten uns Anfang Jänner; am 11. Februar erhielt die durch den Virus ausgelöste Krankeit von der World Health Organization (WHO) einen offiziellen, standardisierten Namen, nämlich „Coronavirus Disease (COVID-19)“. Der Virus selbst wurde vom International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) auf „Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 (SARS-CoV-2)“ getauft.
Die WHO bevorzugt nach eigenen Angaben in der Außenkommunikation die Bezeichnung „the virus responsible for COVID-19,“ um jegliche Panik zu vermeiden, die der Name „SARS“ in Erinnerung an die Epidemie von 2003 auslösen könnte. Überhaupt gibt es seit 2015 ‚best practice‘ Regelungen der WHO für die Benennung neuer Infektionskrankheiten, die “unnötige negative Auswirkungen der Krankheitsnamen auf Handel, Reisen, Tourismus oder Tierschutz minimieren und jegliche Diskriminierung von kulturellen, sozialen, nationalen, regionalen, professionellen oder ethnischen Gruppierungen vermeiden sollen“.
Dass es einen Bedarf an einem ‚neutralen‘ Namen gab, wird allein dadurch deutlich, dass insbesondere in den USA rechtskonservative Politiker*innen auf dem Namen „Wuhan virus“ oder „Chinese virus“ beharren, was wiederum von liberalen Kräften als Zeichen eines latenten Rassismus, einer rechtspopulistischen Schuldzuweisung an bestimmte Bevölkerungsgruppen und einer gefährlichen Realitätsverleugnung der gegenwärtigen Ansteckungspfade angeprangert wird.
Sprache ist nie neutral, und ein Name schon gar nicht. Das ist das Credo der Political Correctness, die, vielfach verhöhnt und verunglimpft, sich dabei auf solide wissenschaftliche Fakten berufen kann: Nein, Frauen fühlen sich nicht eh mitgemeint beim generischen Maskulinum, liebe „Besserwisser“, und nein, es ist nicht egal, ob man das „Schlitzauge“ oder die „Schwuchtel“ im Scherz so bezeichnet– es kann für Betroffene vielmehr eine „Mikroaggression“ darstellen – eine kurze, banale, nicht einmal unbedingt absichtliche Herabwürdigung, die nachweislich psychologische Schäden zufügen kann1. Sprache wirkt – auch verletzend.
Die Sache mit der Quarantäne
Wie heißt es jetzt eigentlich richtig: der oder das Virus? Vielleicht hat Sie mein Maskulinum schon gestört – aber das österreichische Wörterbuch und der Duden lassen tatsächlich beides zu (wenn auch in der Schriftsprache das Neutrum weiter verbreitet zu sein scheint2).
Und wie sagt man jetzt korrekt: „Karantäne“ oder „Kwarantäne“? Der Duden sagt: „Ka-“, das österreichische Wörterbuch lässt auch hier beides zu. Aber das sind eigentlich bloß mythisch-verklärte Handlungsvorschläge in Buchform, die wir zur Sprachpolizei erhoben haben: Symptome einer Ideologie, die Sprache gerne standardisiert sieht und dann diese standardisierte Form nicht nur als eine Möglichkeit (einen Dialekt!) von vielen betrachtet, sondern zum Maß aller Dinge erhebt. Diese Erhebung wirkt wieder in die Gesellschaft: Menschen, die so sprechen oder schreiben finden mehr Anerkennung als solche, die es nicht tun (können, wollen, als Erstsprache gelernt haben). Die Folgen dieser Standardsprachenideologie findet man dann in der entsprechenden Bevorzugung bzw. Diskriminierung bei Einstellungsgesprächen, Wohnungsvermietung, Gerichtsverhandlungen. Sprache wirkt als Türsteherin.
Die angewandte Sprachwissenschaft darf nicht mit einer Sprachpolizei verwechselt werden: Sie schreibt nicht vor, wie man etwas zu sagen oder schreiben hat, sondern beobachtet und analysiert unvoreingenommen, wie sich die Menschen tatsächlich im Alltag ausdrücken. Also: Nicht die Sprachwissenschaft sagt Ihnen, wie Sie Quarantäne auszusprechen haben (diesen Zwist helfen wir nicht beilegen), sondern es ist viel interessanter, wie Sie es selbst tatsächlich tun (möglichst ohne Unterwürfigkeit gegenüber einem Wörterbuch)!
Gesundheitsminister Anschober sagt „Ka-“. Rainhard Fendrich ist von der „Kwa-“-Fraktion. Armin Wolf verwendet „Ka-“ und „Kwa-“ in derselben Sendung. Und Sie? Lassen Sie es mich bitte wissen, mittels einer kleinen Umfrage dazu: https://ofb.dioe.at/index.php/856812?lang=de. Den aktuellen Stand erfahren Sie dann am Ende derselben.
Das ist auch das Ende unserer kleinen Exkursion. Aber das Schöne ist: Sprache ist überall, in welcher Form auch immer (gesprochen, schriftlich, in Gebärden, als Körpersprache), also sind weiteren Kopf-Reisen keine Grenzen gesetzt. Machen Sie mit – werden Sie Hobby-Sprachwissenschaftler*in, gehen Sie selbst auf Erkundungstour (aber bitte daheim!): Wer sagt zum Beispiel im Fernsehen was zu wem und wie oft?
Und wie wirkt das?
1 Kevin L. Nadal, Marie-Anne Issa, Jayleen Leon, Vanessa Meterko, MichelleWideman & Yinglee Wong (2011): Sexual Orientation Microaggressions: “Death by a Thousand Cuts” for Lesbian, Gay, and Bisexual Youth, Journal of LGBT Youth, 8:3, 234-259.
2 Quick-and-dirty Konkordanzanalysen in:
Österreichisches Zeitungskorpus, 1991 – 2019; www.ids-mannheim.de
1.224.004.843 Wörter gesamt
der/den Virus: 681 hits > 20,2%
das Virus: 2698 hits > 79,8%
Austrian Media Corpus, 1986-2018; https://amc.acdh.oeaw.ac.at/
10,500,118,851 Wörter gesamt
der/den Virus: 3403 hits > 18,4%
das Virus: 15104 hits > 81,6%
In: DiÖ-Online.
URL: https://www.dioe.at/artikel/2370
[Zugriff: 20.11.2024]